Mathematik verstehen am Beispiel einer Definition
Kürzlich ging eine Erschütterung durch die Welt der Kryptografie. Das Paper Quantum Algorithms for Lattice Problems versprach einen neuen Angriff gegen bestimmte Algorithmen. Diese heißen Learning-With-Errors (LWE) und bilden eine Grundlage für Algorithmen, die gegen Quantencomputer sicher sein sollen. Hier spielt eine Menge Mathematik mit hinein. Als Beispiel seht ihr eine halbe Seite aus dem Paper:
Das Thema klang hinreichend interessant und ich wollte mich ein wenig einlesen. Zum konkreten Paper muss man sagen, dass mittlerweile ein Fehler im Algorithmus gefunden wurde und die Autoren schreiben:
Now the claim of showing a polynomial time quantum algorithm for solving LWE with polynomial modulus-noise ratios does not hold.
Beim Lesen fiel mir wieder etwas auf, was mir schon früher auffiel. Es gibt Sätze, die kommen recht unschuldig daher und klingen leicht verständlich. Dennoch steckt soviel Theorie dahinter, dass es eine Weile dauern könnte, um diese zu durchdringen.
Gleich in der Einführung findet sich ein Beispiel: An n-dimensional lattice L is a discrete additive subgroup of ℝn
. (Ein n-dimensionales Gitter L ist eine diskrete additive Untergruppe von ℝn.)
Welche Begriffe muss man verstehen oder interpretieren können, um die Definition zu verstehen?
- n-dimensional
- diskrete additive Untergruppe
- ℝn
Das heißt, nahezu jedes Wort ist erklärungsbedürftig und mit Schulwissen kaum zu durchdringen. Wenn wir jetzt die Wikipedia konsultieren, kommen wir ein Stück weiter. Dort findet sich auch eine Definition des Gitters als diskrete Untergruppe eines euklidischen Raums sowie einige Beispiele. Wenn wir beide Definitionen vergleichen, steht in dem Paper zusätzlich das Wort additiv und anstatt euklidischer Raum wird von ℝn gesprochen. Aus der Wikipedia-Seite zum euklidischen Raum wird schnell klar, dass ℝn ein euklidischer Raum ist. Also sind beide Definitionen ähnlich. Das heißt, mit kleinen Einschränkungen können wir mit der Wikipedia-Definition weiterarbeiten.
Um den Satz nun zu verstehen, sollten wir uns dem zweiten Begriff, der diskreten additiven Untergruppe, zuwenden. Beim Aufdröseln ergeben sich neue Begriffe, die man entweder kennen oder lernen muss.
- Untergruppe
- Eine Untergruppe hat eine Verknüpfung (Addition, Multiplikation etc.) und bildet eine Gruppe.
- Eine Gruppe ist eine Menge mit einer Verknüpfung (Addition, Multiplikation etc.). Bei der Verknüpfung ist es egal, wie man Klammern setzt (Assoziativgesetz), es gibt ein so genanntes neutrales Element und ein inverses Element. Wenn man ein neutrales Element verknüpft, ändert sich nichts, so wie bei einer Addition mit 0. Wenn man ein Element der Menge mit dessem inversen Element verknüpft, erhält man das neutrale Element (12-12=0 bei der Addition, -12 ist das inverse Element).
- Eine Untergruppe hat eine Verknüpfung (Addition, Multiplikation etc.) und bildet eine Gruppe.
- Additive Untergruppe
- Das ist eine Untergruppe, wo die Verknüpfung Addition heißt.
- Diskrete Untergruppe
- Eigentlich geht es hier um diskrete Teilmengen eines Raumes mit der zusätzlichen Eigenschaft, dass diese Teilmenge eine Untergruppe bildet.
- Eine Teilmenge ist, wie der Name schon sagt, ein Teil der Menge.
- Diskret bedeutet nun, dass jedes Element der Menge eine Umgebung hat, dass kein weiteres Element der Teilmenge enthält. Das heißt, die einzelnen Elemente der Menge sind isolierte Punkte.
- Die ganzen Zahlen …, -2, -1, 0, 1, 2, … sind als Teilmenge der reellen Zahlen eine solche Menge. Denn bei jeder Zahl gibt es nach links und rechts einen Abstand, wo sich keine andere Zahl drin findet. Bei den Brüchen (rationale Zahlen) ist das anders. Dort finden sich keine zwei Zahlen mit einem kleinen Abstand, dass keine andere rationale drin läge. Daher ist das keine diskrete Teilmenge.
- ℝn
- ℝn ist der n-dimensionale Raum der reellen Zahlen. Aus der Schule kennt man ℝ1 (Zahlenstrahl), ℝ2 (Zahlenebene) und ℝ3 (dreidimensionaler Raum).
Damit haben wir alle Bauteile zusammen, um den obigen Satz zu verstehen. Wobei ich zugeben, muss, dass ich oben einige Abkürzungen genommen habe und auf intuitives Verständnis gesetzt habe. Dennoch reicht das in der Mathematik oftmals nicht. Es ist sinnvoll, sich Beispiele auszudenken. Diese sollten sowohl den positiven Fall abdecken (erfüllt die Definition), aber auch den negativen Fall (erfüllt die Definition nicht). Das sorgt dann wirklich für ein Verständnis des Ganzen.
Das war es auch, was ich am Anfang meinte, als ich von dem kleinen unschuldig klingenden Satz schrieb. Um den zu verstehen, muss man entweder tief im irgendwann mal Erlernten graben oder neues lernen und es dauert eine längere Zeit, bis man ein Paper einmal durchgearbeitet hat. Noch viel länger dauert es, bis man es verstanden hat.
Der obige Satz war der Einstieg in das Paper und nur die Einleitung. Später geht es um gaussche Funktionen und Fouriertransformationen. Das sind Konzepte über die es semesterlange Vorlesungen gibt. Das heißt, um das zu verstehen, kann man wirklich aus den Tiefen der Mathematik schöpfen. Ich wünsche euch viel Spaß bei der Lektüre.
Mit dem Paper haben sich einige andere auseinandergesetzt. Hier findet ihr interessante Lektüre dazu: