Gründe für das Vergessen
Die Sitzung des Untersuchungsausschusses, von der ich berichtete, hat Eindruck bei mir hinterlassen. Seitdem treibt mich die Frage um, warum jemand denn derartige einfache Sachen vergessen könnte. Ich mag nicht so recht daran glauben, dass einfaches Vergessen hier die korrekte Erklärung ist. Aber welche Optionen gibt es denn sonst? Mir sind bislang fünf halbwegs sinnvolle eingefallen. Was meint ihr? Könnte man noch andere (sinnvolle) Erklärungen finden?
- »Natürliches« Vergessen: Die einfachste Erklärung ist natürlich, dass der Befragte tatsächlich Details vergessen hat. Bei der Befragung handelte es sich schon um die Grundlagen der Tätigkeit und schon von der Seite mag ich daher nicht an diese Option glauben. Auf der anderen Seite konnte sich der Befragte durchaus an Namen von Mitarbeitern aus dem Innenministerium und anderen Behörden erinnern. Aber grundlegende Informationen zu Strukturen der rechtsextremen Szene waren nicht mehr abrufbar. Ich habe mal versucht, mich an Details meiner Arbeit vor zehn bis zwanzig Jahren zu erinnern. Ich war selbst erstaunt, in welcher Detailtreue das funktionierte. Allerdings waren gerade Namen das Schwierigste. Da musste ich sehr lange überlegen, bevor mir diese einfielen. Natürlich könnte man einwenden, dass ich auch dreißig Jahre jünger bin. Dennoch erscheint mir diese Option am wenigsten wahrscheinlich.
- Fehlende Tätigkeit auf dem Gebiet des Rechtsextremismus: Man könnte annehmen, dass der Verfassungsschutz, entgegen diverser Einlassungen, zu wenig auf dem Gebiet gearbeitet hat. Dann fehlen halt einfach Erkenntnisse. Aber was wurde dann stattdessen gemacht? Vielleicht konzentrierte man die Arbeit auf linke Strukturen. Immerhin werden/wurden diverse Abgeordnete der Linken überwacht. Das bindet Personal. Andererseits gibt es die Berichte des Verfassungsschutzes, wo durchaus vor Rechten gewarnt wurde. Auf der anderen Seite nannte Nocken bei der Befragung nur die bekanntesten Namen der Szene und nur allgemeine Informationen zu den Strukturen. Von Leuten, die Strukturen auskundschaften und das über mehrere Jahre, würde ich einfach mehr erwarten.
- Quellenschutz: Nun könnte es auch sein, dass die Quellen in der Tat hochwertige Informationen liefern. Quellen wie Informationen wären vielleicht gefährdet, wenn bekannt würde, wie gut das weitergegeben Wissen ist. Daher ist es sinnvoll, in der Außendarstellung den Eindruck zu erwecken, dass keine oder nur schlechte Informationen vorhanden sind. So sprudeln Informationen weiter und die Quellen werden ebenfalls nicht gefährdet. Hier kann ich gar nicht einschätzen, wie valide dieser Punkt ist.
- Strategisches Vergessen: Nimmt man an, dass der Verfassungsschutz Rechtsextreme bzw. den NSU in irgendeiner Weise unterstützt haben, so erscheint mir das als sinnvolle Strategie. Das heißt, man präsentiert sich in der Öffentlichkeit als inkompetent und chaotisch. Damit ist für die Öffentlichkeit klar, dass solche Leute nie und nimmer Verbrechen jagen und fangen können, geschweige denn, wissen, wo die sich aufhalten. Natürlich könnte der eine oder andere auf die Idee kommen, das Amt aufzulösen. Hier glaube ich, dass mit Hinweisen auf Verbesserung in der Zukunft und die Gefahr von Terrorismus, Linksextremismus, Salafismus etc. sich das abwenden lässt. Hier gilt selbiges wie oben: Mir ist unklar, ob das eine sinnvolle Überlegung ist.
- Standardverhalten: Bei einem Geheimdienst (oder politisch korrekt: Nachrichtendienst) sollten gewisse Nachrichten eben geheim bleiben. Also könnte es ein trainiertes Standardverhalten geben, was eben vergessen heißt. Immer wenn kritische Fragen kommen oder wenn unklar ist, ob gewisse Informationen öffentlich sind/sein sollen, beruft man sich halt auf das Vergessen. Das kann jegliche Informationen betreffen, so banal sie auch sind. Hier könnte ich mir durchaus vorstellen, dass dem so ist. Genaues kann ich natürlich nicht sagen.