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Assange

Im Blog von PME200 las ich einen sehr interessanten Beitrag zu Julian Assange. Er versucht, den Fall neutral und auf Basis der Fakten darzulegen. Ich habe mich mal hingesetzt und das ins Deutsche übersetzt. Viel Spass beim Lesen.


Julian Assange 20091117 Copenhagen 1 cropped to shoulders

Es scheint eine Menge an Konfusion und Desinformationen über Julian Assange bei Twitter zu geben. Ich bin kein Experte, unten stehen acht wichtige Punkte:

  1. Er wird wegen Vergewaltigung gesucht.
    Die Leute sagen immer noch, dass er wegen »Sex ohne Kondom« gesucht wird. Ein Vergehen, welches angeblich nur in Schweden verfolgt wird. Der Europäische Haftbefehl (EuHB), welcher auf Assange ausgestellt wurde, spricht von vier Straftaten, für die er gesucht wird. Es gibt einen Fall von widerrechtlicher Nötigung, zwei Fälle von sexueller Belästigung und einen Fall von Vergewaltigung.

    Die Frage, ob dies Straftaten nach englischem Recht sind, wurde vom High Court of Justice untersucht (20111 EWHC 2849). Lies insbesondere die Abschnitte 78 bis 91 durch (speziell Nr. 91). Es ist sehr klar, dass die Straftat auch Vergewaltigung nach englischem Recht ist. Der Beitrag »Assange: would the rape allegation also be rape under English law?« von David Allen Green macht klar: »Englische Gerichte haben zweimal festgestellt, dass die relevante Anschuldigung auch eine Anschuldigung von Vergewaltigung nach englischem Recht ist.«

  2. Das ist ein persönlicher Rachefeldzug eines schwedischen Staatsanwalts
    Falsch. Das Stockholmer Amtsgericht fertigte einen Haftbefehl gegen Assange aus, welchen er vor dem Svea hovrätt (etwa Oberlandesgericht) angefochten hat. Sie begutachteten den Fall im Detail und stellten fest, dass es hinreichenden Verdacht gibt. Daher ist der Haftbefehl gerechtfertigt. Seine Berufung wurde abgelehnt.
  3. Er hatte nicht vollen Zugriff auf die Gerichte in seiner Heimat Falsch.
    Er hatte eine Anhörung vor dem Richter (Senior District Judge) und dem Chief Magistrate des Magistrates’ Court der Stadt of Westminster. Es ordnete die Auslieferung nach Schweden für eine Vor-Ort-Untersuchung an (Er ist nur Subjekt eines Haftbefehls dort und wurde bisher nicht beschuldigt). Assange brachte diese Anordnung bis zum High Court. Es entschied gegen ihn. Er rief den obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs an und dies entschied gegen ihn.
  4. Er ist ein Flüchtling vor der Justiz.
    Das ist er in der Tat. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegen ihn, überging er die Kaution und suchte Zuflucht in der Botschaft von Ecuador bevor seine Auslieferung starten sollte (28. Juni 2012). Daher hat er eine separate Straftat in dem Land begangen, für die er auch gesucht wird.
  5. Großbritannien hat gedroht, die ecuadorianische Botschaft zu stürmen.
    Es ist strittig, ob Großbritannien eine »offene Drohung« gegen Ecuador ausgesprochen hat, so wie es der Außenminister behauptet. Der Text des Briefes, welcher von einem britischen Diplomat geliefert wurde, soll eine Erinnerung an Regelungen des britischen Außenministeriums sein. Andere empfinden es als Bedrohung. Bewerte es einfach selbst. Ich denke, es kann auf jeden Fall als unbeholfen angesehen werden und hat sicher auch Ecuador überzeugt, dass Asyl zu bewilligen. Als kleines Land war es wichtig herauszustellen, dass es »keine britische Kolonie« ist und sich nicht dem Druck beugt.

    Was der Brief nicht macht, ist vorzuschlagen, dass Großbritannien nationale oder internationale Gesetze brechen würde. Das würde in der Tat einen folgenschweren internationalen Konflikt heraufbeschwören. Es gibt eine Befugnis unter englischem Recht, die diplomatische Anerkennung eines Geländes zurückzuziehen. Das wurde nach der Ermordung von Yvonne Fletcher eingeführt. Wie Carl Gardner ausführt, muss jede solche Entscheidung in Übereinstimmung mit internationalen Gesetzen erfolgen. Die Umsetzung würde einen sehr schweren Präzedenzfall schaffen und für mich sieht das nach Säbelrasseln aus (Das hatte allerdings den gegenteiligen Effekt).

    Was wäre, wenn der Special Air Service die Botschaft stürmt? Du schaust zu viele Filme. Ein hohler Gerichtsprozess betrieben von internationalen Anwälten ist wesentlich wahrscheinlicher als das Actionszenario.

  6. Assange kann das Land nun verlassen.
    Falsch. Er steckt in der Botschaft von Ecuador in London fest. In dem Moment, wo er die Botschaft verlässt, wird er anfällig für eine Verhaftung. Zwischen August und November 1989 suchten bis zu 20.000 Ostdeutsche Asyl in der Botschaft der BRD in Prag. Das stellte ein massives Problem dar. Sie mussten beherbergt und versorgt werden, denn sie durften das Gelände nicht verlassen, bevor eine diplomatische Lösung gefunden ward.

    Der einzig durchführbare Weg, um Assange aus der Botschaft zu bekommen und ihn auszufliegen, wäre die Anerkennung als ecuadorianischer Staatsbürger. Danach muss er zum Diploment gemacht werden. Das gibt ihm diplomatische Immunität. Der Vorgang ist höchst unwahrscheinlich, aber in der Assange-Affäre kann viel passieren.

    [Nachtrag: Ich wurde darauf hingewiesen, dass das Vereinigte Königreich seine Ernennung anerkennen muss. Das ist natürlich noch viel unwahrscheinlicher.]

  7. Er bekommt eine geheimes Verfahren und/oder wird in die USA ausgeliefert, wo ihn die Todesstrafe erwartet.
    Ich bevorzuge es, mit Fakten zu handeln. Keines von beiden obigen Punkten deutet sich an. Schweden ist weit davon entfernt, eine minderwertige Demokratie zu sein. Es ist ein geschätztes EU-Mitglied und rangiert als in den Spitzenplätzen der Länder ohne Korruption (Schweden ist derzeit auf Platz 4 des Korruptionswahrnehmungsindex, Uk ist auf Platz 16, Deutschland auf 14). Wenn ich irgendwo vor Gericht gehen müsste und wüsste, dass ich unschuldig bin, so wäre ich über einen Prozess in einem skandinavischen Land glücklich.

    Das Vereinigte Königreich ist daran interessiert die gesetzlichen Verpflichtungen zur Auslieferung nach Schweden zu erfüllen. Nach meinem besten Wissen gibt es keine Anforderung, Assange in die USA auszuliefern, weder an UK noch an Schweden. Wohl wäre es weniger wahrscheinlich, dass dies von Schweden denn von UK aus passieren würde (Schau dir die vielen Kritiken an unserer nachsichtigen Auslieferungspolicy an die USA an.)

    Schließlich ist es sowohl dem Vereinigten Königreich wie auch Schweden nach dem europäischen Menschenrechtskonvention verboten, jemanden auszuliefern, dem die Todesstrafe droht.

  8. Der Mann und die Bewegung.
    Es ist sehr wohl möglich, WikiLeaks und die Prinzipien für die es steht, zu verteidigen, währenddessen man Julian Assange als Individuum sieht, dass für seine Leistungen bewertet wird. Warum ist das so kontrovers oder schwer zu verstehen?

    Assange ist unschuldig bis er für die Straftaten, denen er beschuldigt wird, schuldig gesprochen wird. Aber es scheint fair zu sagen, dass er die Kaution verfallen ließ und dass er vor der Justiz auf der Flucht ist.

    Der Punkt ist nicht so wie die Wahl der Seiten in einem Fußballspiel. Du kannst für WikiLeaks sein und scharf drauf sein, dass die gesetzlichen Regeln wirken. Das macht dich nicht zu Anti-Assange, einem Assange-Hasser oder ähnlichem. Ich habe keine Idee, ob er schuldig ist. Ich glaube, dass die möglichen Opfer ein Recht haben, ernst genommen zu werden. Sie haben den Schritt unternommen, zur Polizei zu gehen und dass die Geschichte einen Abschluss finden sollte.

    Es ist dabei nicht relevant, wer der Mann ist, der für die Nachforschungen gesucht wird und welche andere großartigen Dinge er (nicht) gemacht haben könnte. Wenn du an den Gerichtsprozess und Gesetzesregeln glaubst, wird es zu argumentieren, dass er nicht nach Schweden für eine Befragung zurückkehren sollte (Nachdem er sich mit den Konsequenzen der fallengelassenen Kaution in England beschäftigt hat).

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Stephen on :

Ein wenig blauäugig... Wieso ist Schweden nicht auf den Vorschlag eingegangen, die Anhörung auf neutralem Boden (London) stattfinden zu lassen? Wieso konnte Schweden nicht offiziell garantieren, dass Assange nicht an die USA ausgeliefert wird? Unzählig sind die Beispiele, wo Personen an die USA ausgeliefert wurden, teilweise ohne dass es die Betreffenden selbst wußten, allein im Afghanistan-Krieg wurden Hunderte, hauptsächlich aus Deutschland direkt ins Foltercamp nach Guantanamo deportiert. Also von welchen Fakten sprechen Sie? Zu diesem Korruptionsindex muss gar nichts gesagt werden, ein intellektueller Mensch kann sowas nicht ernst nehmen.

Jens Kubieziel on :

Ich sehe nicht, warum Schweden einer Anhörung auf fremdem Boden zustimmen sollte. Zum einen würde damit indirekt bestätigt werden, dass im eigenen Land nicht alles koscher ist. Was würde Schweden zu anderen gewinnen? Es gibt ein Auslieferungsverfahren. Sämtliche englischen Gerichte haben die Korrektheit bestätigt. Das heißt, theoretisch muss Schweden nur warten, bis Assange eintrifft.

Was passiert, wenn Schweden darauf eingeht? Als Ergebnis der Befragungen auf neutralem Boden könnte stehen, dass sich der Verdacht erledigt oder erhärtet. Im ersten Fall bin ich sicher, dass er auch in Schweden ein freier Mann ist. Wie schon oben geschrieben, ist Schweden nicht irgendeine Pseudo-Demokratie. Wenn sich der Verdacht erhärtet und er infolgedessen angeklagt wird, dann müsste er nach Schweden ausgeliefert werden. Also selbes Procedere. Insgesamt sehe ich für Schweden keinen Grund, auf die Forderung einzugehen.

Zu der Forderung mit der Garantie hat Torsten Kleinz auf Google+ einige Worte geschrieben. Bezüglich der Auslieferung gibt es vermutlich internationale Abkommen. Das heißt, wenn Assange in Schweden ist und die USA ein Gesuch stellt, wird das von einem Gericht geprüft. Vermutlich kann Assange n Male in Berufung gehen. Wenn aber rechtskräftig entschieden wird, dass er ausgeliefert werden kann, was ist dann die Garantie wert? Warum sollte sich Schweden über internationales Recht stellen? Noch viel schlimmer: Es müsste das Urteil eines anerkannten Gerichts ignoriert/gebrochen werden.

In welchen Fällen wurden Menschen aus Deutschland in Foltercamps deportiert (Nein, Überflüge über D bzw. Zwischenstops auf Militärflughäfen in D zählen nicht). Bezüglich des Korruptionswahrnehmungsindex habe ich den Eindruck, dass verschiedene intelligente Leute diesen ernst nehmen. Worin begründet sich die Kritik bzw. warum ist der nicht ernst zu nehmen?

Markus on :

Ich denke auch, dass die letzten Zeilen ein naives Bild idealisierter Gerichtsbarkeit zeichnen.

Sofern ein starkes Interesse seitens der USA besteht Assange den Mund zu verbieten werden sie eine Lösung finden, selbst wenn das bedeutet gültiges Recht etwas anders als üblich auszulegen. Leider erreichen sie ihre Ziele sogar schon ohne dass eine Festnahme/Auslieferung bisher stattgefunden hat. Infolge der Anschuldigungen leidet schließlich nicht nur sein Image sondern auch das von Wikileaks und jeder neue Rechtsbruch seinerseits (wie bspw. Kautionsflucht) macht es schlimmer. Natürlich zu unrecht! Aber ist normal, Apple wurde schließlich auch in guten wie in schlechten Zeiten nur auf Steve Jobs reduziert, um nur ein Beispiel zu nennen.

Außerdem wollte ich anmerken, dass (wahrscheinlich unberechtigte) Anschuldigungen wegen sexueller Straftaten schon immer eines der wirksamsten politschen Mittel war. Man erinnere sich wie die Karriere von Strauss-Kahn beendet wurde - zufällig unmittelbar vor seiner Ernennung zum Spitzenkandidat im französischen Präsidentschaftswahlkampf...

LG

Jan Martin Keil on :

Danke für den guten Artikel. Das ist mal ein angenehmer Gegenpol zu dem weitläufig verbreiteten Ausschluss der Richtigkeit der Anklage. Natürlich ist das ein heikler Fall. Aber auch ein WikiLeaks-Begründer sollte sich bezüglich einer möglichen Sexualstraftat einem Gericht stellen müssen, auch wenn er aufgrund seiner sonstigen Aktivitäten viele Menschen hinter sich hat. Das ist das umgekehrte Phänomen zu dem Fall, indem im Netz zum Lynchen eines Verdächtigen (der, wie sich später herausstellte, unschuldig war) aufgerufen wurde. Ich sage damit nicht, dass er schuldig ist. Aber eine solche Anschuldigung darf nicht unter den Teppich gekehrt werden.

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